July 23 2015

Rio de Janeiro

Eine Grossmetropole. Ich mag keine Städte. Schon gar nicht so riesige. Salvador hat uns gereicht. Doch Rio ist ein Muss. Wir können doch nicht an Rio einfach so im grossen Bogen vorbei segeln. Alle Menschen schwärmen von dieser Stadt.
Gerne würde ich einen Freund aus der Schweiz, der nach Buzio ausgewandert ist besuchen. Doch die Windverhältnisse tragen uns nach Rio de Janeiro. Kurz vor Rio schlafft der Wind sogar ganz ab. Wir motoren in der Dunkelheit in den Iate Clube Caritas von Niteroi bei Rio.
Schlafen mal richtig aus, gniessen die nette Anlage des Yachtclub und lernen Pete den Amerikaner, der auch nach Patagonien will kennen. Uns haut’s mal fast aus den Havaianas, als wir den Preis für die Liegegebühr am frühen Morgen erfahren. Ein Clubmitglied bietet uns an, andere Yachtclubs abzuklappern. Er habe Zeit, sei pensioniert, müsse lediglich gegen ein Uhr seinen acht jährigen Sohn von der Schule abholen. Wir bleiben zwei Tage im Yachtclub. Die anderen wären noch teurer gewesen.
Von Anna und Franz haben wir den Tip für den optimalsten Ankerplatz von Rio bekommen. In Urca. Ankern direkt unter dem Zuckerhut! Position… Friedliches nettes Quartier. Abends hocken alle vor den Bars am Meer entlang auf der Mauer. Dort lernen wir die Argentinier die ebenfalls auf ihrer Stahlyacht in der Bucht liegen und Andrea und Marc kennen. Bei ihnen zu Hause können wir unsere stinkige Wäsche waschen. Wau das war echt der Hammer. Danke für die nette Zeit mit euch beiden! In Brasilien gibt es keine Waschsalons. Oder wir haben sie noch nicht entdeckt. Kleider müssen in teuren Wäschereien abgegeben werden.
Was stellt der Turist in Rio an? Die obligate Tour auf den Zuckerhut, Besichtigung des Christus auf dem Corcovado Berg, das neue Fussballstadion? Oder baden an den berühmten Stränden Cocacabana, Ipanema und Leblon?


Im Reiseführer stosse ich auf einen Mann der Touren in die Favelas anbietet. Erst finde ich das Angebot pervers. Ich gehe doch nicht Menschen wie in einem Zoo Affen angaffen. Doch der Gedanke lässt mich nicht los. Es kann doch auch nicht sein, nur die netten Dinge zu besichtigen. Mich interessieren die Menschen, ihre Lebenssiuation. Dazu gehört auch hinzuschauen, auch auf die unschönen Dinge einer Stadt.
Ich rufe an. Ich frage ihn, ob es für die Bewohner der Favela nicht entwürdigend ist, wenn er mit einer Horde Touristen anrückt. Manuel versichert mir, dass die Menschen von Rocinha die Touristen willkommen heissen. Für sie sei es eine Chance, dem Ruf von “nur Kriminelle und Drogendealer leben in Favelas” zu entkommen. Für die meisten sind die Favelas der Inbegriff des “Bösen, der Armut und Ausgrenzung. ”
Um zwei Uhr soll es losgehen. Vor dem Cocacabana Palace. Habe ich mich verhört? Das ist das feinste und teuerste Hotel der Stadt. Ich fluche schon und bereue, dass ich so eine depperte Turitour mitmache.
Mit einem klapprigen Ford Transit geht die Reise zusammen mit Fahrer Carlos, der selber in der Favela lebt, mit fünf weiteren Interessierten in die grösste Favela von Rio de Janeiro. Dort leben schätzungsweise 160’000 Menschen.
In Salvador habe ich mich einfach in einen öffentlichen Bus gehockt und bin durch die Favelas gefahren.
Doch Elia weiss viel über die Favelas zu berichten. Sie beantwortet Fragen. Die Strasse steigt steil den Hügel hoch. Die Armen haben hier die beste Aussicht! Erst zwischen protzigen Hochhäusern die kruvenreiche ehemalige Autorennstrecke hoch. Hinter einer amerikanischen Privatschule beginnt die grösste Favela Rocinha, wohl die grösste von ganz Südamerika. Monatliche Kosten für die Privatschule belaufen auf 3000 Dollar pro Monat. Was für ein Kontrast!
Ich erfahre, dass in Rio geschätzt 25 Prozent der Menschen in Favelas leben. Favelas sind illegal erstelte Hütten auf nicht erworbenem Gründstücken an ökonomisch uninteressanten Standorten wie zum beispiel Steilhänge. Strom wird abgezwackt und somit illegal bezogen. Die Infrastruktur ist erheblich bis sogar ganz eingeschränkt. Es mangelt an Kanalisation, Stromversorgung, medizinischer Versorgung, Bildungseinrichtungen. Grotesk, wer seine Kinder in die Schule schickt, bekommt finanzielle Unterstützung vom Staat.
Es handelt sich meist um Land – Stadt Migranten aus dem armen nordosten Brasilens. Sie hoffen auf ein besseres Leben in der Grossstadt. Sie fahren zum Beispiel Busse und Taxis, verkaufen am Strand den Touristen mit mobilen Ständen alles mögliche, arbeiten als Taglöhner auf dem Bau oder in einem der grossen Hotels an der Cobacabana. Regiert werden die Favelas von Drogenbaronen. “Amigos dos Amigos” heißt die Drogengang, die in Rocinha das Sagen hat. Hier herrschen andere Gesetzte die mit den Strukturen der italienischen Mafia zu vergleichen sind. Schutzgelder statt Steuern müssen bezahlt werden.

Wir steigen aus dem klapprigen Ford Transit und gehen zu Fuss weiter. Eine Regel noch: Nicht Fotos vom immern der Wohnungen machen, das ist immerhin noch privatsache. Wer Menschen fotografieren will, soll sie doch um erlaubnis bitten. Die Polizei hat leicht grimmig abgelehnt als ich sie fotografieren wollte. Die Gassen werden immer enger und verwinkelter. Kleine Treppen hoch und runter, Hütten über Häuser, nicht mal mehr der Himmel ist zu sehen. Kabelgewirr versperrt die Sicht nach oben. Aus den offenen Türen ertönt Kindergeschrei oder aus einem Radio brüllt laute Musik und da und dort kläfft ein Hund. Klitze kleine Bars und Schönheitssalons, Läden und Stände, es duftet nach leckerem Essen oder auch wieder mal nach Abwasser.
Die Menschen in den Favelas prägen die Kultur! Sie bereiten das ganze Jahr in unzähligen Arbeitsstunden den Karneval vor. Nähen, basteln, gestalten, üben Choreografien ein, die sie am Carnaval vortanzen. Auch einige zaubernde Fussballstars sind den Favelas entsprungen.
In anbetracht auf die Fussballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro hat sich einiges getan. Im Jahre 2010 wurde eine 5000 Mann starke speziell ausgebildete Sondereinheit der Polizei gebildet, um die dortigen Drogenbanden zu vertreiben. Aber eben nur zu vertrieben. Dabei scheint es, dass sich die UPP auf die Zonen von touristischem oder olympischem Interesse konzentriert. Wie nachhlatig das Projekt ist, wird sich zeigen. Damit die Polizei in den engen Gassen der Favelas patroulieren könnten, müssten Hütten abgerissen werden um Strassen zu bauen. Einige Umsiedlungsversuche wurden unternommen. Doch die Menschen mögen diese Wohnungen nicht. Diese Häuser haben keine Dachterrassen auf denen sie bei dröhnender Musik ein Churraco, eine Grillparty veranstalten können.
Wir besuchen in Rocinha die Einrichtung für Kinder “Para Ti” für dich.

Hier können sie spielen, können sich geborgen fühlen, bei den Hausaufgaben wird geholfen oder gar Nachhilfestunden in Kleingruppen erteilt. Dort sind Menschen die sich um sie kümmern, ihre Freuden, kleinen und grösseren Sorgen mit ihnen teilen. Eine Art wie Jugendtreff. Hier wird gemalt, kreativ gewirkt, Yoga und Capoeira und Feste gefeiert.
Sechzig Prozent der Einnahmen für die Tour gehen an diese Einrichtung die übrigens vom Fiat Autokonzern lanziert wurde.
Stellt euch vor, die katolische Kirche bietet Aufklärung zur Familienplanung, bejaht Verhütungsmittel, dies wohl als Kompromiss zu zahlreichen illegal durchgefürhten Abtreibungen, die für die Frauen oft auch tödlich enden.
Ich frage mich wie die Menschen hier zur Arbeit kommen. Die Wege sind steil und beschwerlich.
Der Name “Favela” stammt übrigens von einer hübschen Kletterpflanze.
Meine Gedanken drehen immer wieder um die Favelas. Ich möchte noch vieles mehr erfahren! Dazu werde ich noch folgende Bücher lesen:
“Tropa de elite” /(Elite squat) und “The Slum” von Azevedo.
Sehr zu empfehlen ist der Film “Cidade de deus” /(City of God), der viele Filmpreise gewonnen hat. Die Darsteller sind fast alle in dieser Favela aufgewachsen. Zehn Jahre später wurde ein Dokumentarflilm gedreht, um in Erfahrung zu bringen, was aus ihren Leben geworden ist. “City of God ten years later”.
Rio hat uns sehr beeindruckt. Wäre echt schade gewesen hier vorbei zu segeln. Es gäbe noch so viel zu sehen. Doch die Windverhältnisse sind optimal um weiter zu ziehen.


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Posted July 23, 2015 by robusta in category "Brasilien

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