Passage von Japan nach Alaska
Da war dauernd so ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wirre Gedanken zogen wie schwarze Wolken am Horizont durch meine Seele. Öfter als üblich, schweift mein Blick über die sich immer aufgewühltere See. Jetzt, einen Monat nach der Ankunft in Alaska, kann ich diese abgründigen Gefühle einordnen.
Es gibt einfachere Reviere. Segeln in der Westwindzone bedeutet mit dem schlechten Wetter zu ziehen. Regen und starker Wind, mit entsprechend hoher See, werden unsere Begleiter sein. In den höheren Breiten wird Nebel und Kälte zu einer weiteren Herausforderung. Ist echt schräg bei 30 Grad Hitze im Hafen die Schwerwetterkleidung an der Reling auszulüften.
Vor der Abreise achten wir besonders darauf, alles sicher zu verstauen. Die Schapps sind zusätzlich noch mit Bettwäsche oder Klamotten vollgestopft, damit nichts rumrutscht und klappert. „Less mess ,, less stress“ ist die einfachste Formel auf See. So optimal wie sich’s anhört, ist’s dann aber auch wieder nicht. Das fällt spätestens auf, wenn keine Socken mehr im Kleiderfach zu finden sind, die nämlich gerade irgendwo als Polsterung im Einsatz sind.
Mit unseren Freunden, die wenige Stunden vor uns in See gestochen sind, werden wir alle Tage die Position und die Befindlichkeit per Mail austauschen. Unser Ziel ist Dutch Harbor in Alaska (3300 Seemeilen). Pino segelt nach Victoria in Kanada, wo ihre Reise auch begonnen hat (4300 Seemeilen). Robusta ist mit VHF und Kurzwellenfunkgerät (SSB) ausgerüstet. Mails und Wetterbericht kann nur zu bestimmten Tageszeiten über das Pactor Modem gesendet werden. Dazu stehen 90 Minuten Sendezeit pro Woche zur Verfügung. Der Wetterbericht geht ebenfalls auf dieses Konto. Senden oder empfangen einer einfachen Email, dauert mehrere Minuten. Pino kommuniziert per Iridium Go, einem Satellitentelefon, welches zu jeder Zeit einsatzbereit ist. Zusammengefasst.. die Kommunikation zwischen Pino und Robusta beschränkt sich auf Emails. So haben wir uns das jedenfalls vorgestellt. Doch die Seeregion östlich von Japan liegt nicht im Abdeckungsbereich. Die eine Betreiberstation liegt in Brunei, die andere in Hawaii. Beide sind zu weit entfernt.
Der Wetterbericht ist bereits sechs Tage alt. So feuert Thomi den altbewährten Wetterfax an. Nach einigen Minuten, taucht wie von Zauberhand das Bild mit den Isobaren auf. Ein weiteres kräftiges Tief zieht aus Ost heran. Kursänderung nach Südost ist angesagt. Nächster Wegpunkt liegt auf 32 Grad Nord. Der Wettlauf mit der Zeit beginnt. Schaffen wir es dem Tiefdruckgebiet auszuweichen? Jimmy Cornells Faustregel zu dieser Strecke lautet..südlich von 35 Grad Nord bis 165, 170 Grad Ost segeln. Von dort direkten Kurs nach Dutch Harbor anlegen. Doch dort wo Jimmy empfhielt, sieht es ganz und gar nicht gemütlich aus. (mehr dazu im Abschnitt “Gedanken zur Überfahrt”)
Pino, wo bist du? Wie geht es euch? Seit ihr seekrank? Könnt ihr essen? Seit ihr trocken? Wo seit ihr???
Eurybia, Göttin der Beherrschung der Meere, ist eindeutig am pennen. Robusta taucht immer heftiger in die See. Ins Grosssegel ist das dritte Reff gebunden, der Klüver ist eingerollt. Die Fock steht noch. Die Windsteueranlage Pazific Plus arbeitet perfekt. Bei gegen 40 Knoten Wind, haut es den kardanisch aufgehängten Kochherd aus der Verankerung. Ist zum Glück nicht während dem Kochen geschehen. Mit Draht und aus Weinzapfen geschnittenen Keilen, sitzt der Herd wieder in der Nische fest. Doch er ist nicht mehr beweglich und der Inhalt der Töpfe wird bei Krängung garantiert rausflutschen. Fliegende Pfannen hinterlassen im neu renovierten Boden schon wieder deftige Hicke. Im Motorraum steht Wasser in der Bilge. Dort ist es sonst immer total trocken! Der Seegang war die letzten Tage immer wieder mal krass. Wellen schäumen über’s Deck. Jedes Tiefdruckgebiet beschert viel Regen mit minimaler Sicht. Doch zum Regenwasser für Trinkwasser sammeln, ist die See viel zu wild. Also ist sparen angesagt. 450 Liter Wasser müssen für mindestens vier Wochen ausreichen. Der Abwasch wird im Cockpit mit Seewasser vollzogen. Jede kleinste Tätigkeit ist anstrengend. Bin ich wirklich hungrig? Was ist eher auszuhalten? Sich in Schräglage am Herd abmühen oder vom Knurren des Magens wach gehalten zu werden? Muss ich wirklich pissen? Nein doch nicht. Ich nutze den Harndrang positiv zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur.
In den Kojen fläzen und alle 20 Minuten Ausguck halten geht am besten. Wir lesen lustige, leichte Literatur und studieren viele Revierberichte über Alaska. Auf See schaue ich gerne Piratenfilme auf dem Tablet. Sowas soll Unglück bringen! Na ja, bis jetzt sind wir beide noch nicht abergläubisch. Im Motorraum steht schon wieder etwas Wasser. Es schmeckt salzig. Doch wo kommt es her? Wasser in der Bilge, ist auf hoher See eine echte Bedrohung. Thomas checkt mit der Taschenlampe alles nach Spuren ab. Seeventile, Schläuche, Stopfbuchse. Alles scheint dicht zu sein. Wird jedenfalls alle paar Stunden kontrolliert und das Wasser wird regelmässig abgepumpt. Ansonsten ist innen alles trocken. Thomas hat vor der Überfahrt sämtliche Bullaugen mit einer dicken Plastikfolie doppelverglast um Kondensation zu vermeiden. Die Decksluken ebenfalls. An den Rahmen hat er ein schmales Magnetband geklebt. Auf eine dicke Folie ebenfalls. So kann die Folie locker zum lüften entfernt werden und ist in wenigen Sekunden wieder montiert. Funktioniert perfekt! Das Klima in der Robusta ist noch immer angenehm. Keine Feuchtigkeit in den Schränken. Kein Gammelgeruch.
Endlich kommt am zehnten Tag eine Funkverbindung zustande! Auf hoher See Mails zu erhalten, ist immer eine riesige Freude. Speziell die Mails von meinem Papa sind ein Hochgenuss. Sein Humor ist unübertrefflich und entlockt uns selbst bei verschissensten Bedingungen ein lautes Lachen. Kollegen vermitteln uns mit John und Jeniffer die gerade von Hawaii nach Dutch Harbor segeln. Von Reto sind mehrere Mails eingegangen. Er macht sich Sorgen. Doch er ist ebenfalls Hochseesegler mit jahrelanger Erfahrung. Er weiss, dass eher die Technik bockt, als das ein Schiff absäuft. Reto hat für uns täglich die Wetterlage für den Nordpazifik analysiert und geschickt. Das ist super wenn die Post auch ankommt! Die Entscheidungen zur Taktik liegt bei uns.
„Hatten Knockdown. Viel ist kaputt gegangen. Alles über der Wasserlinie ist zerstört. Alles im Boot ist nass! Liegen nun beigedreht in enormer See.“ Die Position unserer Freunde liegt über 300 Seemeilen nordwestlich von uns. Diese Nachricht versetzt uns buchstäblich in Schockzustand. Per Mail fragen wir nach was sie brauchen. Wie können wir helfen? In meiner Verzweiflung versuche ich etwas lustiges zu schreiben. Es macht mich fix und fertig nicht handeln zu können. Immerhin steht der Mast noch. Auch die Segel blieben unversehrt. Was die beiden im Mail nicht erwähnt hatten, erfahren wir erst später. Rekka wurde beim Knockdown über Bord geschleudert. Sie war vernünftigerweise mit einer Lifeline im Cockpit gesichert. Wir streiten uns manchmal zum Thema Sicherheit. Wir beide bewegen uns auch bei fettem Seegang noch akrobatisch an Deck. Oft schon zu selbstsicher. Über Bord gehen bei Sturm, Dunkelheit oder kaltem Wasser, bedeutet zu 99 Prozent das Todesurteil. Also ist das ganz klar verboten und wird mit lebenslanger Haft bei den Meeresungeheuern bestraft. Oberste Priorität ist sich zu sichern. Dafür ist auf der Robusta an Deck vom Bug bis Heck ein flaches Band angebracht. Wer das geschützte Center Cockpit verlässt, muss sich zuvor in diese Leinen einhaken. Eine Hand ist immer irgendwo festgekrallt. Wanten sind dazu eher geeignet als die Reling.
Robusta ist ein Stahlkutter. Ein Doppelender, was bedeutet das Heck ist gleich wie der Bug geformt. Mit 38 Fuss Länge ist sie eher klein (mit Bugspriet 44 Fuss). Desto kleiner und leichter die Yacht, umso beschwerlicher wird die Reise. Der Langkieler ist mit einer Verdrängung von 14 Tonnen ein fetter Mocken. Sie bewegt sich bei leichtem Wind unter 10 Knoten nicht nennenswert. Der Kutter verhält sich jedoch hervorragend bei schwerer See. Robusta’s Bewegungen sind träge, was sich sehr komfortabel anfühlt. Wir waren jedenfalls beide noch nie seekrank. Das Cockpit liegt nicht wie üblich hinten sondern weiter vorne, schon fast im Zentrum der Yacht. Das Deckshaus kann bei Bedarf ganz geschlossen werden. Auch beim Segeln. In den hohen Breiten, muss eine Yacht isoliert sein und eine Heizung ist für angenehmes Bordklima essenziell. Bei Regen und Nebel steigt die Feuchtigkeit in einer Yacht schnell mal ins unerträgliche. Matratzen und Decken werden schnell mal feucht. Auch die Wände und Polster werden von Schimmelsporen befallen. Die Kleider in den Schapps beginnen zu schimmeln. Ein unangenehmer muffiger Geruch sind das Resultat. Alles nicht gerade toll für die Gesundheit.
Jedes Gefährt hat allerdings auch Nachteile. Robusta nervt vor allem bei leichtem Wind. Schon kurz nachdem der Kurs Richtung Nordost nach Dutch Harbor anliegt, wird es täglich spürbar kälter. Zäh liegt Nebel über der See. Segeln in die gewünschte Richtung ist nicht möglich. Der Seegang beruhigt sich einfach nicht. Zum Beidrehen ist der Wind zu schwach. Schlaf zu finden ist unmöglich. Die Nerven liegen blank. Es macht uns nichts aus eine Flaute ohne Wellen auszusitzen. Doch mit dieser chaotischen Restwelle ist es kaum auszuhalten. Der Nacken versteift sich beim liegen, obwohl diverse Kissen und Leebretter ein Herumrollen verhindern. Auch der neue Wetterbericht verspricht kein Wind. Erst in drei Tagen zieht das nächste Tief heran. Nachts fallen die Temperaturen gegen fünf Grad Celsius. Während einer Flaute bekommt der Klüver einen neuen Flicken. Hoffentlich hält dieses Segel noch bis Alaska. In der Nähe der Aleuten Inseln, tauchen immer wieder mal Frachtschiffe am Horizont auf. Auf Fischkutter treffen wir nicht. Die Passage vom Pazifik in die Bering Sea, durch den Samalgapass der Aleuten Inseln, klappt super. Exakt zum richtigen Zeitpunkt schlafft der Wind ab. Das ist ausnahmsweise mal nicht schlecht. Denn an eine Durchfahrt zwischen den Inseln bei Wind gegen Strom, ist gar nicht zu denken. Der Strom von über vier Knoten schiebt in die perfekte Richtung. Leider bei dickem Nebel an den als so imposant beschriebenen vier Vulkaninseln vorbei. So bleibt nach 30 Tagen auf See der lang ersehnte Blick auf Land erstmal aus. Der Wettbewerb wer zuerst Land erblickt findet auch nicht statt. Alles erscheint recht unheimlich. Das Radar zeigt keine Schiffe oder andere Hindernisse. In der Hot Spring Cove, einer unbewohnten Insel der Aleuten fällt der Anker. Zum Nebel ist jetzt auch noch Regen dazu gekommen. Wir sind so gespannt wie es hier aussieht! Vor dem Landgang wird erst mal ausgiebig und in aller Ruhe, ohne Seegang gefrühstückt. Aus einem kleinen Nickerchen wird ein stundenlanger Tiefschlaf. Egal, hier ist es ja bis Mitternacht noch einigermassen hell. Das Wasser in der Bilge ist auch nicht mehr nachgelaufen. Am Anfang der Reise hatten wir die Schrauben nicht im Motorraum Deckel vom Cockpitboden. Dort haben wir immer den Abwasch gemacht und somit muss Wasser in die Isolation gelaufen sein. Jetzt ist jedenfalls alles gut und trocken. Ufffff.