Ein Tag auf dem Atlantik
Wachablösung 08:00
Sehr früh. Augen noch leicht blockiert, die Sonne blendet auch schon arg und steht bereits ungewöhnlich hoch am Himmel. Kleider anziehen lohnt sich nicht, die sind nach wenigen Minuten eh total verschwitzt. Es wird von Tag zu Tag heisser. Das Thermometer zeigt bereits gegen 30 Grad an. Seit vier Tagen haben wir kein Schiff mehr gesichtet.
Kurs: 210 Grad, Speed schlappe 2.9 Knoten. Wir befinden uns in den Kalmen, die zu Columbus Zeiten gefürchtete windfreie Zone, die vielen Galeeren zum Verhängnis wurden, da sie wochenweise nicht mehr weiter kamen.
Georg liegt noch im Tiefschlaf in der Achterkabine und Thomi wird sich auch gleich in seine Koje verkriechen. Er hatte eine anstrengende Wache hinter sich. Fast kein Wind – schlagende Segel, was bedeutete, dass die Segel geborgen werden mussten damit sie nicht kaputt gehen. Wieder Segel setzen, wieder runter nehmen… Robusta schaukelt nun in alle Richtungen hin und her. An Schlaf war nicht zu denken. Ich bin erschöpft und mein Körper ist von den dauernden Schiffsbewegungen gerädert. Dies obwohl ich mich mit diversen Kissen in meiner Koje eingebettet hatte, damit ich nicht hin und her rolle. Meinen Kopf hatte ich versucht in eine Ecke zu platzieren um meinen Nacken etwas entspannen zu können. Meine Finger schmerzen, als wäre ich einige Kilometer an Krücken gelaufen. Muskelkater vom immer irgendwo sich fest halten müssen.
Der Himmel verdunkelt sich, fette schwarze Wolken ziehen auf und ein dumpfes Donnergrollen ist aus der Ferne zu vernehmen. Der erste Squall.
Was nun? Halsen um dem Unwetter auszuweichen? Segel hoch, mit zweitem Reff oder sogar drittes Reff rein binden? Wie viel Wind ist da zu erwarten? Ich wecke Thomi. Er freut sich nicht besonders darüber. Wir setzten die Segel und binden mal das zweite Reff rein. Gemeinsam entscheiden wir direkt in den Squall zu segeln. Das Schiff ist so schmutzig. Alle Leinen sind total mit Sand von der Sahara und den Cabo Verden rüber wehen eingepudert. Der Windrichtungsanzeiger zeigt schon seit Tagen stur nach Norden weil er vor lauter Dreck völlig verklebt ist. Alle Leinen sind braun und vom Salzwasser total steif. Also ab in die Naturwaschanlage – alle Fenster zu und wir drei schnappen die Shampooflasche und stellen uns an Deck um gleich zu duschen. Wunderbar! Der erste Regen nach Monaten. Frisch kühl und richtig stark, dass es schon fast weh macht auf der Haut. Wir jauchzen vor Freude. Der Wind nimmt um schätzungsweise 15 Knoten zu und wir machen wieder mal richtig Fahrt. Nach einer Viertelstunde ist der Spass vorbei. Null Wind, kein Regen und zirka 2 Meter Welle.
09:00 Funkrunde
„Yemanja Yemanja this is Sailingyacht Robusta“ rufe ich mit Kurzwellenfunk auf Kanal 4112.
Steffi meldet sich und freut sich bald mal wieder alle an Land treffen zu können. Ich geniesse die Quaselrunden. Sailormoon und Cariad können mithören aber nicht mit uns sprechen da sie statt einer Seefunklizenz ein Amateurfunzeugnis haben sind für sie die Seefunkfrequenzen gesperrt. Wir tauschen uns über den geplanten Kurs und unsere Befindlichkeit aus. Bei uns an Bord ist die Stimmung auf dem Tiefstpunkt angelangt. Nur der Georg ist noch fröhlich und singt übermütig seine Seemannslieder. Wechselnde Winde, oder gar kein Wind und Hitze machen uns zu schaffen und zerren an den Nerven. Das Schiff schaukelt nun echt mühsam. Ich habe mir vorgestellt, dass das Meer in den Kalmen ganz flach wie ein schimmernder Spiegel sein wird.
Ein Badestop hebt die Laune wieder an. Eine Person bleibt jeweils an Bord, falls das Schiff mit der Strömung zu weit abtreiben sollte. Ich habe schon einen wunden Arsch vom rumsitzen. Mir fehlt die Bewegung, mal rennen und den Puls auf 180 zu jagen, so dass das Herz wieder mal in jede kleinste Kapilare Blut pumpt und die Lungen vom Schnaufen so richtig aufgeblasen werden, das fehlt mir schon und ich sehne mich auf den ersten ausgedehnten Landgang!
Wir essen wie jeden Morgen gegen elf gemeinsam ein reichhaltiges Frühstück mit Eiern, Müsli, selbst gebackenem Brot und Joghurt. Bei der wilden Schaukelei allerdings sehr mühsam, da immer wieder mal was vom Tisch zu fallen droht.
12:00 Schichtwechsel: Georg ist für die nächsten vier Stunden eingeteilt
Während der ganzen Überfahrt lernen wir Brasilianisch. Jeder für sich auf seine Weise und später fragen wir einander ab, üben Verben konjugieren und versuchen die ersten Sätze zu bilden. Gegen den späten Nachmittag spielen wir „Kuhhandel“. Ein echt fieses Spiel bei dem du erfährst, wie dreckig der Kapitalismus ist.
16: 00 Schichtwechsel. Thomi ist bis 2o Uhr dran
Thomi richtet ein Vesper her. In Kürze steht die Äquator Feier an. Auf der ganze Reise feiern wir eh alles mögliche damit es uns nicht langweilig wird. 15 Grad Feier, 10 Grad Feier, 7000 Seemeilen Feier, Vollmond Feier, frisch mit Salzwasser geduscht Feier, WC funktioniert noch immer Feier um nur einige davon zu nennen. Ich bin voll fasziniert bei der Vorstellung, dass wir uns jetzt sozusagen ganz auf der Seite der Erdkugel befinden und unsere Körper mehr und mehr mit dem Kopf nach unten stehen. Vielleicht verschwinden dann meine Augenringe bald. Ich habe für mein Äquator Experiment eine mit Wasser gefüllte Flasche bereit gestellt. Beim Entleeren der Flasche soll sich, sobald der Äquator überquert ist, der Wirbel angeblich von Rechtsdrehend auf Linksdrehend wechseln. Sowas finde ich schon unglaublich interessant, habe dann aber leider den richtigen Zeitpunkt für meinen Versuch verpasst da ich ja nur noch gebannt auf das GPS glotzen musste um DEN Moment nicht zu verpassen!
Nicht mal für das Äquatorfest wollte ein anständiger Fisch anbeissen. Dann gibts halt Köder statt Sushi zum Vesper.
Heute Morgen sind wir doch der Yemanja begegnet! Schon unglaublich. Nach 15 Tagen und 13 Stunden und 34 Minuten treffen wir uns mitten auf dem riesigen Atlantik!!! Sie queren den Äquator exakt auf die Minute genau eine Stunde vor uns. Wahnsinn.
16.24.24 Uhr, auf Position 27Grad 54Minuten 33Sekunden West stossen wir mit 32 Grad warmem Bier an. Der Kühlschrank mussten wir schon vor Tagen abstellen. Der Windgenerator liefert kein Strom mehr und die Solaranlagen reichen knapp um die Positionslichter und die Innenbeleuchtung aufrecht zu erhalten. Hier am Äquator ist der Tag und die Nacht sozusagen gleich lang.
18:00 Positionsmeldung per E-Mail
E-Mail können wir mit Paktormodem via Kurzwellenfunk sehr langsam verschicken und empfangen. Tom ärgert sich im Mail, dass sein Mitsegler zwei Kilo heisse Kartoffeln zum abkühlen in den Kühlschrank gestellt hat, mit dem Resultat, dass nun seine Batterien leer sind. Von Sailormoon erfahren wir, dass es Jaqueline noch immer arg mit der Seekarankheit zu kämpfen hat und Mischa schon recht erschöpft ist weil er sozusagen alles alleine machen muss. Sie werden sich morgen entscheiden, ob sie noch weitere 10 Tage bis nach Salvador durchhalten sollen oder nach Jacaré abbiegen werden. Diese Nachricht stimmt mich sehr traurig. Wir sind doch so eine tolle Clique! Wir wollten doch gemeinsam die Bucht von Salvador erkunden. Das wäre wirklich sehr schade. Ich würde die beiden so gerne unterstützen, für sie etwas kochen oder sonst was nettes tun. Nun sind wir aber mitten auf dem Atlantik. Da kannst du nicht so schnell mal rüber laufen und was vorbeibringen.
Heute gibt es das letzte frische Gemüse mit Reis zum Abendessen. Bei dieser Hitze ist es echt fast nicht möglich, dass das Gemüse noch einigermassen frisch bleibt. In Mindelo Cabo Verde kommt das Gemüse von der Nachbarinsel mit der Fähre immer am Donnerstag an. Losgefahren sind wir ja erst am Montag. So war das Gemüse auch schon nicht mehr so frisch. Die Äpfel verwandelten sich innert kürzester Zeit in nach Schnaps riechende Schrumpfkugeln. Das Gemüse das wir in Galizien für die Überfahrt nach Madeira gekauft hatten, hielt sich locker zwei Wochen.
20:00 Wachwechsel: Ich bin wieder bis 23 Uhr im Einsatz
Ich bitte Thomi mir noch zu helfen, die Segel für die Nacht zu reffen. Dann legen sich die beiden Herren in die Koje. Ich räume auf und gehe danach an Deck für einen Kontrollblick. Von einer Sekunde auf die nächste, setzt richtig heftiger Regen mit gegen 30 Knoten Wind ein. Kann gar nicht so schnell alle Luken und Bullaugen schliessen. Bis ich das ganze Regenwasser aufgewischt habe, ist meine Nachtschicht zu ende und ich krieche voll verschwitzt in meine Koje.
Hey gaaaats noooo???? Hat sich da jemand ein Freitag der 13. Scherz erlaubt??? Oder Systemfehler???
Find ich gar nicht lustig sowas. Auf dem ganzen Atlantik 100 Knoten Wind!
Nachtschicht 23:00 bis 02:00
Georg kommt auf die glorreiche Idee, mitten in der Nacht, jetzt wo wir alle Fenster zulassen müssen, in dieser Hitze auch noch ein leckeres Brot zu backen. Da rappelt’s aber schon ein wenig in der Stahlkiste… So gemein, sorry Georg, vielen Dank für all die leckeren Brote die du kreiert hast!
Hundewache 02:00 bis 05:00
Die Crew schläft in den Kojen, der Wachhabende pennt im Cockpit.
Woher kommt denn der Ausdruck Hundewache? Auch Google weiss nicht viel darüber zu berichten. Der Wecker wird für einen Kontrollblick über den Horizont auf alle 25 Minuten gestellt. Da ist eh niemand auf diesem riesigen Atlantik, nur die Cariad und die Yemanja könnten in der Nähe sein.
Frühschicht 05:00 bis 08:00
Dies ist Thomis liebste Schicht. Den Sonnenaufgang mit einer Tasse heissem Kaffee zu geniessen, dabei in der Ferne die Wolkenbilder zu beobachten und die Gedanken schweifen zu lassen und wirklich die Ruhe und das Alleinsein zu geniessen.
So, der eine Tag ist nun rum. Irgendwie sind im Nachhinein die 23 Tage recht rassig vorbeigegangen. Ich wollte noch so viel machen. Viel mehr Bücher lesen und weitere Sternbilder kennen lernen. Das war ja schon Phantastisch. All die Sterne ohne jegliche Lichtverschmutzung bewundern, da waren auf einmal so viele tausende Millionen davon. In der Nacht, das Himmelszelt zu bewundern und die im Mond glitzernden Wellen zu beobachten und wenn ich mir dann dazu noch vorstelle wie gross die Entfernungen bis zu den nächsten Kontinenten sind, fühle ich mich wirklich richtig frei.
Wie ist denn die Mini Atlantik Rally ausgegangen? Wer war wohl zuerst in Salvador?
Die Yemanja ist einen Tag vor uns angekommen. Die Cariad überholte uns doch noch frech in der Bahia von Salvador wenige Meilen vor dem Ziel und Tom nahm unsere Leinen bereits frisch geduscht am Steg der Marina entgegen. Sailormoon ist nach Jacaré abgebogen. Der Amwindkurs nach den Kalmen bis nach Salvador hätte die Seekrankheit noch verschlimmert. Jaqueline und Mischa geht es wieder gut, aber wir vermissen sie!!!
Wir treffen uns in der Südsee, versprochen :-)) !!!