October 2 2022

Als ich wieder nach Mexiko fliege, kommen einige Freunde  zum Flughafen in Zürich, um ciao zu sagen. Der Abschied fällt mir schwer. Ich fühle mich zerrissen. Zwischen Fernweh und Heimweh eingeklemmt. Werde euch vermissen! Traurig wie ich bin, hoffe ich nun auf nette Gesellschaft im Flugzeug. Doch die Frau neben mir ist sofort eingepennt und hat sich während den nächsten 12 Stunden nicht mehr gross bewegt. Ab und zu habe ich sie wieder über die Grenze zurück auf ihren Platz gedrückt. In Mexiko City muss ich umsteigen und lege deshalb eine mehrtägige Pause ein. Miguel, bei ihm wohne ich jetzt, finanziert mit der Unterbringung von Gästen in seiner Wohnung eine Weiterbildung. Ich laufe von dort ins Zentrum. Bald fällt mir eine riesig fette blaue Mauer aus Metallelementen auf. Bei genauerem Betrachten erkenne ich lauter Fotos mit Namen von Frauen und Kindern.

Um mehr zu erfahren, wende ich mich an eine Gruppe die am gestikulieren ist. Diese Mauer ziehe sich über mehrere Kilometer durch die ganze Innenstadt. Es handelt sich um die Protestaktion «Ni Una Mas» deren Ziel es ist Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen und das unterdrückende, patriarchalische System zu bekämpfen. Femizide werden in Mexiko zu 97% nicht aufgeklärt. Zehn Frauen pro Tag! Sowas sagt schon genug aus. Die Regierung schaut weg! Über Sozialmedia breitet sich seit 2015 die Protestwelle von Argentinien, dort unter «Ni Una Menos» bekannt, über den ganzen Südamerikanischen Kontinent und sogar beinahe über den ganzen Globus aus.

Diese Frauen sind echt mutig, denn nicht selten schiesst die Polizei an Protestaktionen in die Menge!

In Mexiko City gibt’s enorm viel zu erkunden. Kulturelle Highlights wie der Templo Mayor der Azteken, das Museo Nacional de Antropologia mit den berühmten präkolumbianischen Artefakten gehören zu meinen Zielen und der Park Chapultepec. Dort treffen sich regelmessig alle die gerne Cumbia tanzen. Das Frida Kahlo Museum war leider ausgebucht!

Die Stadt pulsiert förmlich. Enorm viel Gewusel.  In der Altstadt sind die Geschäfte nach Themen sortiert. In der einen Strasse befinden sich Stoffgeschäfte, eine Gasse weiter die Metzgereien mit Kadavern im Schaufenster. Dann schlendere ich an Autowerkstätten vorbei,  um die nächste Ecke findest du alles was mit Haushalt in Verbindung steht. Im Quartier mit den Musikgeschäften geht’s extra laut zu und her. Fette Musikboxen sind vor kleinen Geschäften aufgebaut. Natürlich voll aufgedreht, um den Nachbar zu übertönen denk ich mir. Am nächsten Tag stopfe ich Stöpsel in die Ohren, bevor ich die Wohnung verlasse. All die Eindrücke erschlugen mich beinahe. Doch alles ist so spannend, dass ich erst im Bett merke, wie weit mich meine Füsse heute getragen haben.

Vor dreissig Jahren war ich mit meinem Sohn schon mal hier. Da war er gerade mal fünf Jahre alt. Wir beide haben wegen der dreckigen Luft entzündete Augen bekommen und konnten kaum atmen. Es ging uns mies. Diesmal ist die Luftqualität etwas besser. Immerhin so gut, dass ich die über 5000 Meter in den Himmel ragenden Berge zu Gesicht bekomme.

22 Millionen Menschen wohnen in dieser Metropolregion. Ich habe mich in der Altstadt recht sicher gefühlt. Die Polizeipräsenz ist enorm wo Touristen unterwegs sind. Fast schon beängstigend. Von so viel Sicherheit können die Menschen die hier leben nur träumen, denn die Kriminalitätsrate ist sehr hoch. Besonders hoch ist auch die Erdbebengefahr, denn Mexiko City liegt in einer seismisch aktiven Region.  Zudem ist die Stadt am Versinken, denn sie wurde auf dem ehemaligen Texcoco-See errichtet.

Lange Arbeitszeiten und Pendelzeiten, unsichere Arbeitsplätze, Korruption, marode Infrastruktur, fliessendes Wasser,  sind nur wenige all der Herausforderungen mit denen die Anwohner im täglichen Leben konfrontiert sind. Etliche Strassen weisen Risse auf und die Kathedrale wurde zum Beispiel während siebzig Jahren renoviert, um strukturelle Schäden zu beheben. Ich denke diese Kohle wäre besser  in die rund 250 Tausend Menschen investiert, die beim Erdbeben von 1985 obdachlos wurden und noch heute in Containern ohne Fenster leben! 

Nun aber nichts wie weg hier. Ich freue mich endlich Thomas wieder zu treffen.

 


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Posted October 2, 2022 by robusta in category "Schweiz

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