October 20 2022

Gut geplant – gut gereist

Thomas werde ich in der Baja California treffen. Um diese Reise kümmere ich mich erst jetzt, wo ich bereits in Mexiko City bin. Stunden durchforste ich das Netz nach Flügen, statt die Stadt zu erforschen. Von hier scheint es keinen simplen Weg nach Santa Rosalia zu geben. Angedacht war, von Mexiko City nach Loreto zu fliegen, dort in einen Bus zu steigen und schon bin ich in Santa Rosalia. In Loreto verweilen während den Wintermonaten viele Amerikaner. Darum landen dort nur Flüge aus den USA! Leicht entnervt verkünde ich Thomas meine neuen Reisepläne. Flug nach Cuidad Obregon, Bus und schliesslich über Nacht von Guaymas nach Santa Rosalia mit der Fähre. Thomas meint jedoch, da ist keine Fähre. Das steht aber so im Internet! Doch seit der Pandemie ist diese Verbindung über den Golf von Kalifornien tatsächlich nicht mehr im Betrieb. Was für ein Mist, den Flug habe ich bereits gebucht!

Seit ein paar Tagen plagt mich ein hartnäckiger Husten. Dieser Fakt bereitet mir Sorgen. Meine Augen brennen ebenfalls. Ist es die dreckige Luft? Seit der Pandemie glotzen dich doch alle hell entsetzt an, wenn du es wagst, in der Öffentlichkeit zu husten. Und dann erst im Flugzeug? Da kann ich mir durchaus vorstellen, speziell beim Einsteigen, wo alle dicht gedrängt ihr Handgepäck verstauen, wenn da ein bellender Husten das Treiben übertönt, gar Panik ausbrechen könnte…. Ich treffe sämtliche Vorkehrungen, um keine multiplen Panikattacken auszulösen. Trinke literwiese Tee mit Honig und kaufe einen starken Hustenstiller. Zusätzlich stülpe ich mir eine dieser deutschen Hochsicherheitsmasken über’s Gesicht. Darum habe ich keine Bedenken, mich asozial zu verhalten, falls es sich doch um einen Infekt handelt. Covid19 kann es jedenfalls nicht sein. 

Erst fliege ich nach Cuidad Obregon. Von dort geht die Reise per Taxi und mit dem Bus weiter. Drei Stunden durch gefährliches Gebiet. Durch Sonora führt ein wichtiger Transitweg für den Drogenschmuggel. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen rivalisierenden Kartellen und Sicherheitskräften. Beim Eisteigen habe ich darauf geachtet, einen Platz auf der rechten Seite zu ergattern, um während der Fahrt die Sicht auf die Berge zu geniessen. Drinnen ist es mittags um zwölf stockdunkel. Als ich meinen Vorhang öffne, bat mich jemand dies zu unterlassen. Die müssen aus Sicherheitsgründen zu sein. Von aussen soll niemand sehen, ob und wie viele Passagiere sich im Bus befinden. Zur Prävention vor Überfällen, ergänzt der freundliche Mann neben mir. Ich wünsche uns beiden eine gute Reise.

 

Jedenfalls musste Thomas rüber ans Festland segeln, um mich dort abzuholen. Mitten auf der zweitägigen Überfahrt springt er bei Flaute für eine Abkühlung ins dunkle Blau. Wie unvernünftig!! Zur Strafe wird er angegriffen. Der halbe Torso und ein Bein sind befallen. Es brennt wie blöd! Mit viel Glück ist sein bestes Teil verschont geblieben. Jetzt tut es mir unendlich leid, dass ich nicht besser geplant habe.

Qualle

Unter der Gürtellinie sieht alles noch viel deftiger aus. Diesen Teil vom Foto habe ich jedoch weggeschnitten, denn Thomas ist nackt, als er mir die Auswirkung von der Begegnung mit der Qualle auf offener See demonstriert.

 

Bei der Begrüssung jammern wir beide, als wir einander in die Arme fallen.  Er vor Schmerz und ich wegen der Hitze, die mich beinahe erschlägt, als ich aus dem klimatisierten Bus steige. Vier Monate haben wir uns nicht mehr gesehen. Endlich einander wieder in den Armen liegen, klingt romantisch – existiert aber nur in Romanen – jedoch nicht bei Temperaturen an die 40 Grad! Wir beide sind erstmal vom langen Reisen erledigt. Gedanken über die Weiterreise machen wir uns erst, als am Himmel dunkele Wolken aufziehen. Wir Studieren beide den Wetterbericht. Für die Festlandküste sind heftige Gewitter vorhergesagt. Um der Front zu entkommen, lichten wir sofort den Anker, mit dem Ziel zurück zur Baja California zu segeln. Während der Nacht weht ein kräftiger Wind aus Süd-Ost. Aus der Ferne zucken zahlreiche Blitze aus den bedrohlich dunklen Wolken über dem Festland. In dieser Nacht sind in der Bucht von San Carlos einige vor Anker liegende Yachten ins Rutschen geraten. Ich denke es war eine gute Entscheidung dieser heftigen Gewitterfront zu entfliehen. Der Kurs ist nach Santa Rosalia abgesteckt. Dort sollten demnächst drei Yachten eintreffen, mit denen Thomas den Sommer verbracht hat. 

 

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October 2 2022

Zwischen Fern- und Heimweh

Als ich wieder nach Mexiko fliege, kommen einige Freunde  zum Flughafen in Zürich um ciao zu sagen. Der Abschied fällt mir schwer. Ich fühle mich zerrissen. Zwischen Fernweh und Heimweh eingeklemmt. Werde euch vermissen! Traurig wie ich bin, hoffe ich nun auf nette Gesellschaft im Flugzeug. Doch die Frau neben mir ist sofort eingepennt und hat sich während den nächsten 12 Stunden nicht mehr gross bewegt. Ab und zu habe ich sie wieder über die Grenze zurück auf ihren Platz gedrückt. In Mexiko City muss ich umsteigen und lege deshalb eine mehrtägige Pause ein. Miguel, bei ihm wohne ich jetzt, finanziert mit der Unterbringung von Gästen in seiner Wohnung eine Weiterbildung. Ich laufe von dort ins Zentrum. Bald fällt mir eine riesig fette blaue Mauer aus Metallelementen auf. Bei genauerem Betrachten erkenne ich lauter Fotos mit Namen von Frauen und Kindern.

Um mehr zu erfahren, wende ich mich an eine Gruppe die am gestikulieren ist. Diese Mauer ziehe sich über mehrere Kilometer durch die ganze Innenstadt. Es handelt sich um die Protestaktion «Ni Una Mas» deren Ziel es ist Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen und das unterdrückende, patriarchalische System zu bekämpfen. Femizide werden in Mexiko zu 97% nicht aufgeklärt. Zehn Frauen pro Tag! Sowas sagt schon genug aus. Die Regierung schaut weg! Über Sozialmedia breitet sich seit 2015 die Protestwelle von Argentinien, dort unter «Ni Una Menos» bekannt, über den ganzen Südamerikanischen Kontinent und sogar beinahe über den ganzen Globus aus.

Diese Frauen sind echt mutig, denn nicht selten schiesst die Polizei an Protestaktionen in die Menge!

In Mexiko City gibt’s enorm viel zu erkunden. Kulturelle Highlights wie der Templo Mayor der Azteken, das Museo Nacional de Antropologia mit den berühmten präkolumbianischen Artefakten gehören zu meinen Zielen und der Park Chapultepec. Dort treffen sich regelmessig alle die gerne Cumbia tanzen. Das Frida Kahlo Museum war leider ausgebucht!

Die Stadt pulsiert förmlich. Enorm viel Gewusel.  In der Altstadt sind die Geschäfte nach Themen sortiert. In der einen Strasse befinden sich Stoffgeschäfte, eine Gasse weiter die Metzgereien mit Kadavern im Schaufenster. Dann schlendere ich an Autowerkstätten vorbei,  um die nächste Ecke findest du alles was mit Haushalt in Verbindung steht. Im Quartier mit den Musikgeschäften geht’s extra laut zu und her. Fette Musikboxen sind vor kleinen Geschäften aufgebaut. Natürlich voll aufgedreht, um den Nachbar zu übertönen denk ich mir. Am nächsten Tag stopfe ich Stöpsel in die Ohren, bevor ich die Wohnung verlasse. All die Eindrücke erschlugen mich beinahe. Doch alles ist so spannend, dass ich erst im Bett merke, wie weit mich meine Füsse heute getragen haben.

Vor dreissig Jahren war ich mit meinem Sohn schon mal hier. Da war er gerade mal fünf Jahre alt. Wir beide haben wegen der dreckigen Luft entzündete Augen bekommen und konnten kaum atmen. Es ging uns mies. Diesmal ist die Luftqualität etwas besser. Immerhin so gut, dass ich die über 5000 Meter in den Himmel ragenden Berge zu Gesicht bekomme.

22 Millionen Menschen wohnen in dieser Metropolregion. Ich habe mich in der Altstadt recht sicher gefühlt. Die Polizeipräsenz ist enorm wo Touristen unterwegs sind. Fast schon beängstigend. Von so viel Sicherheit können die Menschen die hier leben nur träumen, denn die Kriminalitätsrate ist sehr hoch. Besonders hoch ist auch die Erdbebengefahr, denn Mexiko City liegt in einer seismisch aktiven Region.  Zudem ist die Stadt am Versinken, denn sie wurde auf dem ehemaligen Texcoco-See errichtet.

Lange Arbeitszeiten und Pendelzeiten, unsichere Arbeitsplätze, Korruption, marode Infrastruktur, fliessendes Wasser,  sind nur wenige all der Herausforderungen mit denen die Anwohner im täglichen Leben konfrontiert sind. Etliche Strassen weisen Risse auf und die Kathedrale wurde zum Beispiel während siebzig Jahren renoviert, um strukturelle Schäden zu beheben. Ich denke diese Kohle wäre besser  in die rund 250 Tausend Menschen investiert, die beim Erdbeben von 1985 obdachlos wurden und noch heute in Containern ohne Fenster leben! 

Nun aber nichts wie weg hier. Ich freue mich endlich Thomas wieder zu treffen.