November 30 2022

Tingeln zurück nach La Paz

Während den nächsten zwei Monaten ankern wir in vielen Buchten entlang der Ostküste der Baja California. Faszinieren tun uns vor allem die Wälder aus riesigen Cardon Kakteen mit ihren charakteristisch emporragenden Armen. Die kennst du bestimmt aus den Lucky Luke Comics. Die bis über zwei tausend Meter in den Himmel ragenden Berge, glühen in der Abendsonne in Rot- und Goldtönen. Nachts durchbricht das Heulen der Kojoten die Stille. Wahnsinn wie viel Leben in solch einer kargen Umgebung vernehmbar ist. Tagsüber streifen wir oft stundenlang mit Freunden der Seglerkarawane durch die Pampas. Eine fast homogene Gruppe aus Nordamerika. Gute Lederschuhe mit fetten Sohlen, die vor Stacheln schützen, müssen wir erst wieder ganz tief aus dem Bauch der Robusta graben. Lange Hosen und Hemd schützen vor allerlei Insekten wie Sandflöhe, Feuerameisen, Spinnen, Skorpione und die nervigen Moskitos, die hier nach der Hurrikan Saison das Dengue Fieber übertragen. Obwohl allerlei Stachelgestrüpp die zerklüfteten Felsformationen überwuchern, geht es einigermassen gut zum Wandern. Das “einigermassen” bezieht sich auf die teilweise sehr lockeren Steine in den Felsen.

Die Pandemie scheint nun vorbei zu sein. Nach und nach öffnen Länder ihre Grenzen. Für einige Staaten gelten jedoch strengere Einreisebestimmungen als vor dem Lockdown. Sieht so aus als kommt wieder Bewegung auf. Uns Segelnden Wesen wachsen akut die Seebeine nach. Träume über den Horizont zu segeln, werden bald Realität. Doch nicht alle trauen der Lage. Es wird rege diskutiert und freudig Pläne geschmiedet. 

Um von Mexiko nach Europa zu gelangen, wäre eine Möglichkeit via Panama Kanal in die Karibik und weiter nach Europa. Bis Panama sind die Windverhältnisse wechselhaft und schwach. Sowas bedeutet viel Strecke unter Motor zurücklegen. Der Panamakanal wäre super spannend. Wenn ich mir vorstelle, mit der kleinen Robusta zwischen riesigen Frachtpötten durch die sechs Schleusen zu schippern, kräuseln sich die Haare an meinen Beinen. Diese Idee verwerfen wir jedoch schnell. Einerseits schrecken die hohen Kosten für den Kanal ab, und wegen der Hurrikan Saison ist die Zeit von sechs Monaten sehr knapp, um von Mexiko bis durch die ganze Karibik erneut in die Hurrikan freie Zone zu gelangen. Oder über Polynesien – Asien – Somalia – Suezkanal um nach Europa zu gelangen. Doch da sind die Piraten und im Nahen Osten ist die Lage immer angespannter. Alles andere wäre noch viel weiter. Was wird aus der Robusta wenn wir endlich in Europa angekommen sind? Wir Schweizer wohnen zu weit vom Meer entfernt. Traurig, aber eine Tatsache mit der wir leben müssen. Immer mehr entwickelt sich der Plan, zum Abschluss unseres Abenteuers, nochmals nach Kanada zu segeln und das Schiff dort verkaufen. Unser Stahlkutter passt perfekt in die hohen Breiten. Von Mexiko nach Kanada zu Segeln ist jedoch eines der schwierigsten Unterfangen. Zu den Herausforderungen zählen Starke Strömungen, Gegenwind und unbeständiges Wetter. 

Doch erst müssen wir beide nochmals nach La Paz zum Zahnarzt. Die Implantate sollten jetzt eingeheilt sein, um die Kronen zu setzen.

 

November 1 2022

138 Jahre Santa Rosalia

“Das Dorf das nicht sterben wollte”

Mir gefällt das kleine Kaff ausserordentlich! Thomas hat nicht zu viel versprochen. Komme mir vor wie in einer Filmkulisse aus einem Wild-West-Film. Eigentlich komisch, denn die Stadt wurde von Franzosen gebaut. 

Mittlerweile ist die Marina voll. Thomas hat mit den meisten von ihnen den Sommer im Norden verbracht. Tagsüber herrscht emsiges Treiben. Ersatzteile werden angeschafft, Segel repariert, Sägen kreischen, Staubsauger, Bohrer und Kärcher dröhnen zwischen den Yachten. Wäsche waschen und sogar ganze Motoren werden zerlegt. Alle sind mit mehr oder weniger grossen Problemen beschäftigt. Thomas hängt ganz oben im Mast, um die Funkantenne zu reparieren und kontrolliert gleichzeitig die Wanten und Fallen. Ich habe mich mit der Nähmaschine auf dem Steg ausgebreitet. Die Reisverschlüsse am Deckshaus müssen ersetzt werden. Der Aussenborder vom Dinghi bekommt ebenfalls Pflege. Die Wartung vom Scheisshaus haben wir uns aufgeteilt. Entschuldige die Ausdrucksweise. Doch es ist eine grässlich stinkige Arbeit. Das Gemisch von Salzwasser – Pisse – und Kacke erzeugen hartnäckige Ablagerungen in den Leitungen.  Und leider verirren sich manchmal kleine Fische durch den Ansaugschlauch der Spülung im System und beginnen fürchterlich zu stinken. Der Natur zuliebe bitte nur mechanisch reinigen. Um Robustas Bauch vom Bewuchs zu säubern, haben wir einen Taucher engagiert.

Während der nächsten Woche findet allerlei statt. Amerikaner planen in der Marina eine Halloween Party, Santa Rosalia feiert Geburtstag und am folgenden Wochenende ist der Dia de Muertos (Tag der Toten). In der kleinen schmucken Stadt herrscht Hochbetrieb. Bühnen, Marktstände und mehrere antike Kirmesbahnen werden aufgebaut. Ich schwöre, die wären in keinem anderen Land mehr funktionstüchtig. Doch der Mexikaner repariert alles, was noch so hoffnungslos erscheint! Bevor die Menschenmassen für das Fest in die kleine Stadt strömen, fährt ein Lastwagen jede Strasse ab. Beladen mit einem laut knatternden Generator und einem Fass gefüllt mit Chemikalien, aus dem ein Arbeiter per Kompressor dichten Nebel in jeden Winkel versprüht. Gleichzeitig  weist er per Megafon die Bevölkerung an, alle Fenster zu öffnen. Und schon legt sich ein übel stinkender Schleier über die Pizzas und unsere Körper. Die Aktion dient als Prävention zur Ausbreitung von Denguefieber, welches durch Mücken übertragen wird.

Die Festivität beginnt mit der MissSantaRosalia Wahl. Cool finden wir, dass nebst Schönheit viel Wert auf Sympathie und Auftreten gelegt wird. Zum krönenden Abschluss spielt die Big Band «Banda Limon». Das Publikum tanzt und tobt vor Begeisterung ausgelassen. Dezibel Begrenzung kennt hier keiner. Unsere Ohren bimmelten danach noch tagelang.

Am Tag der Toten «Dia de los Muertos» wird es wieder ruhiger. Kinder präsentieren ihre kunstvoll gestalteten Kostüme. Danach, in der Nacht vom 1. November gehen Familien auf den Friedhof. Die Gräber werden mit Kerzen und Plastikblumen dekoriert, Angehörige bringen die Lieblingsspeisen für die Verstorbenen mit, um ihre Seelen anzulocken. «Cempasuchil», der Duft der Ringelblume wird ihnen den Weg in die Welt der Lebenden weisen. Anders als auf den Gräbern handelt es sich hier um echte Ringelblumen, sonst würde das mit dem Lockduft ja nicht funktionieren.

Zwei Wochen später ziehen die meisten von uns weiter in Richtung Süden, um auf dem Weg nach La Paz in den vielen geschützten Buchten der Baja California zu ankern. Santa Rosalia hat uns sehr gut gefallen.