138 Jahre Santa Rosalia

“Das Dorf das nicht sterben wollte”
Mir gefällt das kleine Kaff ausserordentlich! Thomas hat nicht zu viel versprochen. Komme mir vor wie in einer Filmkulisse aus einem Wild-West-Film. Eigentlich komisch, denn die Stadt wurde von Franzosen gebaut.
Mittlerweile ist die Marina voll. Thomas hat mit den meisten von ihnen den Sommer im Norden verbracht. Tagsüber herrscht emsiges Treiben. Ersatzteile werden angeschafft, Segel repariert, Sägen kreischen, Staubsauger, Bohrer und Kärcher dröhnen zwischen den Yachten. Wäsche waschen und sogar ganze Motoren werden zerlegt. Alle sind mit mehr oder weniger grossen Problemen beschäftigt. Thomas hängt ganz oben im Mast, um die Funkantenne zu reparieren und kontrolliert gleichzeitig die Wanten und Fallen. Ich habe mich mit der Nähmaschine auf dem Steg ausgebreitet. Die Reisverschlüsse am Deckshaus müssen ersetzt werden. Der Aussenborder vom Dinghi bekommt ebenfalls Pflege. Die Wartung vom Scheisshaus haben wir uns aufgeteilt. Entschuldige die Ausdrucksweise. Doch es ist eine grässlich stinkige Arbeit. Das Gemisch von Salzwasser – Pisse – und Kacke erzeugen hartnäckige Ablagerungen in den Leitungen. Und leider verirren sich manchmal kleine Fische durch den Ansaugschlauch der Spülung im System und beginnen fürchterlich zu stinken. Der Natur zuliebe bitte nur mechanisch reinigen. Um Robustas Bauch vom Bewuchs zu säubern, haben wir einen Taucher engagiert.
Während der nächsten Woche findet allerlei statt. Amerikaner planen in der Marina eine Halloween Party, Santa Rosalia feiert Geburtstag und am folgenden Wochenende ist der Dia de Muertos (Tag der Toten). In der kleinen schmucken Stadt herrscht Hochbetrieb. Bühnen, Marktstände und mehrere antike Kirmesbahnen werden aufgebaut. Ich schwöre, die wären in keinem anderen Land mehr funktionstüchtig. Doch der Mexikaner repariert alles, was noch so hoffnungslos erscheint! Bevor die Menschenmassen für das Fest in die kleine Stadt strömen, fährt ein Lastwagen jede Strasse ab. Beladen mit einem laut knatternden Generator und einem Fass gefüllt mit Chemikalien, aus dem ein Arbeiter per Kompressor dichten Nebel in jeden Winkel versprüht. Gleichzeitig weist er per Megafon die Bevölkerung an, alle Fenster zu öffnen. Und schon legt sich ein übel stinkender Schleier über die Pizzas und unsere Körper. Die Aktion dient als Prävention zur Ausbreitung von Denguefieber, welches durch Mücken übertragen wird.
Die Festivität beginnt mit der MissSantaRosalia Wahl. Cool finden wir, dass nebst Schönheit viel Wert auf Sympathie und Auftreten gelegt wird. Zum krönenden Abschluss spielt die Big Band «Banda Limon». Das Publikum tanzt und tobt vor Begeisterung ausgelassen. Dezibel Begrenzung kennt hier keiner. Unsere Ohren bimmelten danach noch tagelang.
Am Tag der Toten «Dia de los Muertos» wird es wieder ruhiger. Kinder präsentieren ihre kunstvoll gestalteten Kostüme. Danach, in der Nacht vom 1. November gehen Familien auf den Friedhof. Die Gräber werden mit Kerzen und Plastikblumen dekoriert, Angehörige bringen die Lieblingsspeisen für die Verstorbenen mit, um ihre Seelen anzulocken. «Cempasuchil», der Duft der Ringelblume wird ihnen den Weg in die Welt der Lebenden weisen. Anders als auf den Gräbern handelt es sich hier um echte Ringelblumen, sonst würde das mit dem Lockduft ja nicht funktionieren.
Zwei Wochen später ziehen die meisten von uns weiter in Richtung Süden, um auf dem Weg nach La Paz in den vielen geschützten Buchten der Baja California zu ankern. Santa Rosalia hat uns sehr gut gefallen.