Wie fühlt sich die Heimat an?
Wieder in der Heimat, acht Jahre nach in See stechen, fragen mich viele wie mir die Schweiz nach so langer Abwesenheit reinkommt:
Als erstes fiel mir sofort auf, alles ist sauber. Nirgends liegt Müll rum, was ich sehr schätze. Die Häuser sind in einem guten Zustand, auch wenn sie schon mehrere hundert Jahre alt sind. Die Autos sehen wie neu aus. Doch die Menschen, die am Steuer sitzen, mutieren oft zu unfreundlichen Kreaturen. Da wird gehupt und geschimpft. Auto gleich Mittel, um Stress abzubauen?? Keinesfalls möchte ich behaupten, ich hätte mich nie so verhalten. Ich verstehe nur zu gut, dass bei so viel Verkehr die Nerven blank liegen. Da bewege ich mich doch lieber, mit den vollen öffentlichen Verkehrsmitteln fort und quassle mit anderen Reisenden. Wobei die einen mit Blick aufs Handy gerichtet, mir nonverbal vermitteln, dass sie nicht ansprechbar sind. Hat der Zug nur paar Minuten Verspätung, werden die Passagiere unruhig. Als absoluter Wahnsinn empfinde ich die Bedienung im Restaurant. Ich ertappe mich, wie ich mich entschuldige, dass ich jetzt etwas trinken und eine Kleinigkeit essen möchte. Kaum ist der letzte Bissen verschluckt, kommt die gesalzene Rechnung, ohne danach gefragt zu haben. Der Tisch sei für weitere Gäste reserviert!
Einen Arm angewinkelt, den Blick stets im 39 Grand Winkel nach unten gerichtet wo das Handy mit der Hand fest verwachsen zu sein scheint, pflügen sie, immer wieder mal mich anrempelnd durch die Stadt. Erkundige ich mich nach einer Strasse, statt einer freundlichen Hilfestellung werde ich gefragt, ob ich denn kein Handy habe!?
Ich vermisse die Passanten, die stets ein Lächeln oder zumindest etwas Fröhlichkeit ausstrahlen.
Dass ohne Handy vieles nicht mehr möglich ist, lerne ich schnell. Billette für den Zug kaufen, dafür gibt es eine App. Diese verspricht stets den günstigsten Preis zu verrechnen. Klappt aber nicht immer. Klemmt die App mal fest, rechne bloss nicht mit Kulanz! Im Supermarkt musst du nun sogar noch Arbeiten; denn die teuren Produkte musst du selbst einscannen! Ich frage mich was mit all den Kassierer*innen geschehen wird. Sogar am Selbstbedienungsstand beim Bauern steht keine Schachtel mehr in der Scheune, um das Geld einfach reinzulegen. Den leuchtend roten Erdbeeren kann ich nicht widerstehen. So lege ich Bares an die Stelle wo ich die Früchte entnommen habe. Was für eine schräge Entwicklung. Doch ich lebe mich unerwartet schnell wieder in die voll durchorganisierte Gesellschaft ein.
Ansonsten gefällt mir die Schweiz sehr gut. Beim Reisen habe ich einige Meinungen von Leuten die dort Urlaub gemacht haben oder dort mal gearbeitet haben gehört. Zu meiner Überraschung sind es durchwegs positive Aussagen! Durch diese vielen Gespräche betrachte ich nun einiges von einem neuen Blickwinkel. Verkehrsfreie Innenstädte mit ihren schmucken Geschäften in mittelalterlichen Gebäuden, Schlösser und Burgen, oder dass sich auf jeder Bergspitze eine Kneipe befindet, die Sauberkeit, die guten Anstellungsbedingungen, die direkte Demokratie und sogar die Behörden werden gelobt.
Verglichen mit dem Bootsleben empfinde ich so einiges als besonderen Luxus wie zum Beispiel einen Wasserhahn aufdrehen und es fliesst reichlich Wasser, welches ich sogar ohne Sorge trinken kann! Auf der Robusta muss ich eine Fusspumpe betätigen damit kaltes Wasser fliesst. Auf diese Weise wird viel gespart. 450 Liter reichen vier bis fünf Wochen für Trinken, Kochen und den Abwasch. Geduscht wird mit Meerwasser. Viele tun das nicht, weil sie das Salzwasser auf Haut und Haaren unangenehm empfinden. Dabei trocknet Salzwasser die Haut viel weniger aus. Frisöre verkaufen Meerwasser Sprays, um feine Haare zu festigen. Wir haben gelernt, Wasser als wertvolles Gut zu schätzen. Wasser kommt zu uns entweder von einer Tankstelle oder vom Himmel in Form von Regen, welches wir sammeln. Doch nicht so in Mexikos Wüste. Eine saubere Dusche, aus der reichlich heisses Wasser auf den Körper prasselt oder gelegentlich ein heisses Bad, geniesse ich jetzt ganz besonders. Körperhygiene bedeutet, wie zu Omas Zeiten, sich mit einem Waschlappen abschruppen oder sich einen Eimer Meerwasser über den Körper schütten. Sind die Bedingungen zu strub, wird schon mal einfach eine neue Lage Deo aufgetragen. Eine eigene Waschmaschine, nach deren Benutzung die Klamotten tatsächlich sauber sind, vermisse ich auch. Beim Kochen kann ich ganz entspannt, ohne mich irgendwo festzuhalten vor dem Herd stehen. Das geschnittene Gemüse wird nicht unkontrolliert durch die Bude fliegen. Am Ankerplatz spontan Landgang zu tätigen, um nach Bedarf eine dringend benötigte räumliche Distanz zum Geliebten geniessen, denn wir sind an Board maximal 10 Meter voneinander entfernt, vertraute Gespräche mit dicken Freunden führen, Wintersport, Reiten, einen Begleiter auf vier Pfoten zu haben, vermisse ich besonders. Doch noch ist das unstetige Zigeunerleben ohne Luxus, anstrengenden Überfahrten, sich ständig auf neue Gegebenheiten einlassen, nach-wie-vor reizvoll.
Doch irgendwann hat alles mal ein Ende, darum geniessen wir jeden Tag in der Ferne ganz besonders.
Übrigens: hast du heute schon jemandem ein Lächeln geschenkt?