August 1 2020

Segeln in einer Karawane

So und nun grabe ich in meinem Hirn zurück nach Dutch Harbor. Zurück, weil bereits einige Zeit vergangen ist und wir bereits in Homer angekommen sind.

Ablegen von Dutch Harbor war wie vermutet der Horror. Daran erinnere ich mich noch bestens. Mit dem Langkieler rückwärts über eine länger Distanz manövrieren, ist nahezu unmöglich. Obwohl sich die Robusta beim Ablegen ungewollt um 180 Grad gedreht hat, blieb der Steg unversehrt, kein Fischkutter ist gesunken und das Seezeichen steht auch noch an der selben Stelle. In brenzligen Situationen funktionieren Thomas und ich recht gut.

Der Plan ist gemeinsam mit unseren neuen Freunden, bis in das 650 Seemeilen entfernte Homer zu segeln. Dort werden wir mit der Robusta, oder besser formuliert, in der Robusta, im Hafen von Homer überwintern. John und Jenifer stellen ihre Yacht Caro Babbo in einer Werft an Land. Die beiden werden den Winter in ihrer Heimat Port Townsend, in Washington verbringen.

John und Jenifer sind noch nie in einer Karawane gesegelt. Dies ist aus diversen Gründen auch nicht ganz simpel.

Jede Yacht verhält sich anders. Die einen segeln viel schneller, laufen höher am Wind, vertragen grobe See besser. Ein weiterer Faktor ist die Crew. Welches ist die sicherste Route? Und ganz wichtig, wo liegt die Grenze des Erträglichen von jedem Einzelnen. Menschen sind verschieden. Rücksicht auf unterschiedliche Bedürfnisse sind auch hier essenziell. Was heisst nun Rücksicht aufeinander nehmen? Diese Frage könnte schon ein ganzes Kapitel füllen. Ungereimtheiten ansprechen ist jedenfalls immer ein guter Weg.

Reisen mit anderen Seglern lieben wir. Optimal waren Erlebnisse mit bis drei Yachten. Oder wenn eine bis zwei Personen mit der Robusta mitsegelten. Eine grössere Crew ist vor allem auf längeren Passagen eine grosse Entlastung bei den Wachen oder der Essenszubereitung. Im Fall einer Panne, die eben immer in den unmöglichsten Situationen auftreten, ist es doch einfach nett noch jemand Vertrauten an der Seite zu wissen.

In Alaska müssen Passagen sehr sorgfältig geplant werden. Das Wetter wechselt rapide. Starker Wind und enorme Strömungen zaubern aus dem Nichts eine gefährlich hohe ungestüme See. Die Region zählt zu den grösseren Schiffsfriedhöfen der Erde. Der US-Coast Pilot Nummer 9 ist ein unverzichtbares Hilfsmittel. Mit den lokalen Fischer besprechen wir unser Vorhaben ebenfalls. Sie geben wertvolle Ratschläge und verraten bei einem Bier die besten Ankerbuchten, um sich bei Sturm in Sicherheit zu bringen. Sie legen uns nahe, bis spätestens Mitte September in einem sicheren Hafen für die Wintermonate zu sein. Ups, das kommt jetzt etwas überraschend. Bleibt für die 650 Seemeilen nicht gerade viel Zeit! Nur gerade mal knapp zwei Monate.

Bei starkem Kaffee und Kuchen wird ausgiebig geplant. Wann die nächste Möglichkeit Internet zu empfangen ist nicht klar. Seekarten studieren, Gezeiten und Strömungen berechnen, Reiseberichte von anderen Segler lesen, Wetterprognosen vergleichen. Weiter östlich, soll das Wetter etwas freundlicher sein. So überreden wir John und Jenifer schon mal für einen längeren Schlag mit Nachtfahrt. Einfach mal um dieser üblen Nebelsuppe der Aleuten Inseln zu entfliehen. East Anchor Cove liegt 134 Seemeilen von Dutch Harbor entfernt. Sollte das Wetter umschlagen, so werden weitere Alternativen für einen Nothalt ausgearbeitet. Hier in geschützte Ankerbuchten einlaufen, ist wegen der starken Gezeitenströme nur zu bestimmten Bedingungen möglich und Zeiten möglich. Somit ist eine Alternative nicht immer die optimale Lösung zum Abwettern.

Wie und wann wir in East Anchor Cove ankommen, ist jeder Crew selber überlassen. Klar ist, morgens um sechs Uhr geht`s los. Proviant ist bereits mit dem Handkarren vom Hafen angeschleppt. Um sieben Uhr ist ein Termin bei North Pacific Fuel zum Diesel tanken ausgemacht. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen Termin zum Tanken vereinbare. Doch die Fahrt von der Bering Sea in den Nord Pazifik führt durch den Unalga Pass, einem Durchgang in der Aleuten Inselkette. Dies ist an diesem Tag nur gerade um 11.07 Uhr möglich. Das Zeitfenster ist klein. Pünktlichkeit ist empfehlenswert. Dann ist Stillwasser und die starke Strömung kippt zu unseren Gunsten. Im Pazifik angekommen, schlafft der Wind schon bedenklich ab. Ich begutachte schon mal einen alternativen Ankerplatz. Doch der kann unmöglich angelaufen werden. Die Strömung läuft dort gegen den Wind. Eine Kondition die Tide Rips, hohe steile, gefährliche Wellen verursacht. Also auf die Zähne beissen und weiter ziehen. So versuchen wir vom Land entfernt auf stärkeren Wind zu treffen. Diese Taktik klappt. Mitten in der Nacht, verhält sich die Robusta eigenartig. Die Segel flappen, obwohl der Wind mit über 25 Knoten weht. Die Geschwindigkeit über Grund beträgt 16 Knoten!!! Krass. Absoluter Rekord. Offensichtlich ist da eine starke Strömung vom Akutan Pass. Dieser liegt jedoch sechs Seemeilen nördlich. Eine Meile entfernt kämpft sich Jenifer, dick eingehüllt in Schwerwettermontur bei Kälte und Regen, im offenen Cockpit von Caro Babbo durch die Fluten. Mich schauderts beim Gedanken an Jenifer. Alles etwas unheimlich. Ich hocke gemütlich im geheizten Schiffsbauch der Robusta oder im geschützten Deckshaus. Ein kurzer Funkkontakt per VHF tut gut. Selbst bei Tageslicht in solchen Strömungen zu segeln, ist schon ein echter Kick. Im Akutan Pass treten zur Spring Tide Strömungen bis zu zehn Knoten auf. Diese Wellen mit Wind dagegen, wage ich mir schon gar nicht vorzustellen. Das alles ist nicht neu für uns. Patagonien hat von uns einiges abverlangt und nun profitieren wir von diesen wertvollen Erfahrungen. Ein wesentlicher Unterschied zu Patagonien, damals hatten wir keine Informationen betreffend Strömungen oder Gezeiten. Die Seekarten wiesen teilweise beachtliche Abweichungen von bis zu mehreren Seemeilen auf. In Alaska stehen die sehr detaillierten Seekarten von der NNOA kostenlos zum Download zur Verfügung. Doch aufgepasst, durch die hohe seismische Aktivität, ändert sich die Wassertiefe dauernd. 

 


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Posted August 1, 2020 by robusta in category "Alaska

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