August 20 2016

Grenzerfahrung

Es regnet in strömen, Thomas setzt gerade Kaffee auf, Aleko bearbeitet seinen Sauerteig, Sepke kommt aus dem Klo gerannt und ich liege noch im Aufwachmodus in der Koje als von der Marina ein Gebrüll aus dem Megafon ertönt… was nervt er denn  jetzt schon wieder? Gestern schon hat er uns mit dem Megafon gerufen und aus dem Mittagsschlaf gerissen, wo doch alle total müde von der Überfahrt vom Golfo de Ancud etwas ausruhen wollten!

Robusta, Beduin und Abraxas liegen in der Nähe von der Marina Huelmo vor Anker. Das passt dem Chef der Marina natürlich nicht. Er will mit uns reden. Wir sollen doch am Steg festmachen. Dies sei sicherer. Wenn ich so die zusammengebastelte Stege betrachte, vertaue ich unserem Ankergeschirr aber hundert pro mehr. Nur schon beim Festmachen mit dem Dinghi kippt die eine Plattform seitlich weg, so dass ich fast wieder rückwärts ins Dinghi rolle und einen Sturz ins kalte Wasser knapp vermeiden konnte. Alle etwas gereizt, statten wir der Familie gezwungenermassen einen Besuch ab. Der Frau blitzten bereits die Dollarzeichen in den schönen grünen, etwas zu stark geschminkten Augen auf. Er, früher ein hohes Tier in der Armada, hat mit dem Bau der kleinen Marina seinen Lebenstraum erfüllt. Dass wir Segler mit kleinem Budget sind und die Reise durch unser Erspartes finanzieren, dafür scheint er nun Verständnis zu haben. So bietet Hector an,  unsere drei Yachten im Päckchen an eine der Bojen zu legen. Sollen ihm bezahlen was wir für angebracht halten. Duschen dürfen wir auch nutzen.

Toll, so liegen die Yachten während unserer Abwesenheit sicher an der fetten orangen Boje. http://www.costadehuelmo.cl

…erneut quäkt eine verzerrte Stimme aus dem Megaphon: Beeeeduin – Abbbbraxxxas – Rrrrobuuuusta…..Was ist denn los? Das Taxi wartet seit einer Stunde auf euch! Wie denn jetzt schon? Ist doch erst acht Uhr! Nein es ist nach neun. Zeitumstellung mitten im Jahr verpasst! Vier Minuten später hocken alle im Dinghi, Aleko mit leerem Rucksack, da er nicht wie wir schon am Vorabend gepackt hatte. Der Adrenalinspiegel steht nun endgültig hoch, als sich auf der Autobahn nun auch noch ein Stau bildet. Die 35 Kilometer bis zum Busbahnhof in Puerto Montt schaffen wir so nie! Die Tickets sind schon bezahlt. Punkt zehn Uhr hechten wir aus dem Taxi. Kann doch nicht angehen, der Bus ist weg! So überpünktlich ist ja schon fast unverschämt! Am Schalter erfahren wir, dass er eine Panne hatte und heute nicht fahren wird. So buchen wir die Fahrt nach Argentinien bei einer anderen Gesellschaft. Um 14 Uhr 30 soll es los gehen. Vier Stunden dauert die Reise über die Anden zum Ferienort Bariloche. Ha ha, das ich nicht lache!

Die Anspannung steigt. Das bequeme moderne zweistöckige Monster rollt nun langsam auf die Grenze zu. Stepke und ich sind uns gestern noch in die Wolle geraten, betreffend was wohl an der Grenze zu befürchten ist. Andere Segler berichten, dass sie Probleme hatten. Ich ertrage seine negativen Prophezeiungen nicht. Unsere Touristenkarten sind nun schon – oder erst – oder wie auch immer,  sechs Wochen übers Datum. Stepke und Alekos laufen übermorgen aus.

Sorry aber die Grenzerfahrung muss ich etwas ausführlicher beschreiben.

Der Busfahrer bittet alle Fahrgäste auszusteigen um sich ins Zollhaus zu begeben. Ohne Gepäck. Dort werden die Pässe kontrolliert und die Glücklichen bekommen einen Ausreisestempel von den Chilenen. Doch wie es scheint gehören wir erst mal nicht zu den Glücklichen. Thomas und ich werden an einen anderen Beamten mit mehreren goldenen Emblemen an der Uniform verwiesen. Wir hätten uns bei der DPI melden müssen bevor das Visum ausgelaufen ist. Ja das wissen wir, doch in den Caletas waren die nirgends vertreten. Und in Castro war der zuständige Herr im Urlaub. So reiche ich ihm nun die Zarpe, das Beweisstück worauf ersichtlich ist, wo wir uns die ganze Zeit aufgehalten haben und nicht etwa gearbeitet haben. Etwas”tiro al oreja” mussten wir schon einstecken bis dieser goldig geschmückte Mann, für die Wiederherstellung der Ordnung nun einfach zwei Ausreisestempel in unsere Pässe presst. Zwar beide mit dem selben Datum – aber auch o.k denken wir uns…. Nun gehören wir vorerst mal auch zu den Glücklichen!

Einreise am Argentinischen Zoll:

Wieder alle raus aus dem Bus zu Passkontrolle. Derweil macht sich ein Trupp mit einem Hund im Bus auf Schnüffeltour. Handgepäck wird ohne im Beisein der Besitzer durchwühlt!! Die Beamten picken einige Taschen raus. Lebensmittel werden alle konfisziert, darunter taucht auch noch ein Lachs, dürftig in eine Folie gewickelt, aus einer Handtasche auf. Vermutlich so ein Teil aus einer Zuchtstation. Die Beamtin behandelt das tote Fundstück mit einem Desinfektionsspray. Danach landet es würdelos in einer roten Mülltüte. Que pena! Nun wird der blonde Bello in den Gepäckraum des Buses geführt. Dort steht er desinteressiert mit hängendem Schwanz und guckt zu Herrchen. Er will lieber ein Leckerli. Der Beamte fischt etwa 20  Koffer raus. Wie die Kommunikation zwischen Hund und Herrchen verlief, ist mir schleierhaft. Diese Koffer wurden in einer fast zweistündigen Prozedur von Mister Perfekt  durchforstet. Eine Senora im Tigerkleid wehrt sich erfolgreich, dass der Beamte ihren Koffer nicht in Anwesenheit von Zuschauern untersucht.

Argentinische Bilanz:  zwei Müllsäcke voller Lebensmittel wurden konfisziert.

Schade, den schönsten Teil der Reise durch die Berge geht nun in totaler Dunkelheit weiter. In Bariloche, dem mondänem Urlaubsort der super Reichen, finden wir dank eines kleinen unauffälligen Fresszettel von der Busstation eine Übernachtungsmöglichkeit. Perfekt, 10 Euro pro Person. Carlos spricht deutsch. Nein seine Vorfahren kommen nicht aus Europa. Der kugelrunde Carlos war 25 Jahre in St. Moritz als Skilehrer tätig, wo auch mein Sohn geboren wurde.

Am nächsten Tag kommt Aleko in den Genuss  seiner aller ersten Fahrt mit einem Sessellift. Die Aussicht von oben ist gewaltig. Da kann St. Moritz im Engadin einpacken. Die Pisten haben wir aber nicht getestet. Hundert Dollar pro Tag. Skipass,  Ski oder Snowboard inklusive Klamotten haben wir uns dann doch nicht geleistet. Obwohl den Argentinier auf der Piste das Ohr abfräsen, hätte bestimmt riesigen Spass gemacht. Ein Reisender aus dem Bus hat mir empfohlen, die Colonia Suiza zu  besuchen. Dort sei alles genau wie in der Schweiz. Real gleicht die Colonia eher einem Sektor aus Disneyland. Verschiedene Stände an denen Schokolade und Walliser Bier verkauft wird (die sind eher für ihren Weisswein berühmt), der Bernhardiner mit dem Schnapsfass um den Hals gabs im Souveniershop und zu guter letzt für den Magen die grösste Herausforderung, natürlich noch das Käsefondue!

Auf der Rückreise folgt nun erneut die Grenzerfahrung. Diesmal in umgekehrter Reihenfolge.

Die Ausreise aus Argentinien ging schnell. Ausreisestempel holen, Hund wurde durch den Bus geführt und fertig.

Dann folgt die Einreise nach Chile:

Alle Fahrgäste aussteigen, ins Zollhaus. Sämtliches Handgepäck wird auf einem langen Tisch ausgelegt. Ein Hund wird mehrmals an den Taschen vorbeigeführt. Neben dem Reisebus sind nun alle Koffer auf einer riesigen Ablage ausgelegt. Nun muss Bello diese kontrollieren. Er schnüffelt recht interessiert, lässt seine schwarze feuchte Nase hoch motiviert über die Koffer schweifen, hebt das linke Bein und pisst mal schnell ergiebig an einen Koffer. Das war’s dann auch schon.

Chilenische Bilanz: Dauer der Kontrolle recht kurz, der motivierte Hund hat aber nichts gefunden.

Nun gehören wir endgültig zu den Glücklichen. Haben zum dritten mal die vollen 90 Tage Aufenthaltsgenehmigung erhalten.


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Posted August 20, 2016 by robusta in category "Chile

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